Illustration – Fotografie des CGIANT Warm Blues

Ein billiger Nachbau einer Kopie eines BOSS Blues Drivers – die Schaltung des BOSS' und der Nachbauten wird analysiert.  Geiz ist geil & Neugier ist billig – ein neues Spielzeug.  Chinesen und lateinische Schriftzeichen.  Ran an den Speck.  Das erste Vorbild, clevere Wintätsch-OPVs und eine starre Basspumpe.  Eine verbesserte Kopie und ein Abschluss mit Siegerehrung

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CGIANT Warm Blues

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Die Vorgeschichte

Anfang der „zehner Jahre“ erwarb der Autor, infolge des wiederentdeckten Interesses für den Klang der E-Gitarre, ein billiges chinesisches Effektgerät, den CGIANT Warm Blues, vertrieben unter dem etwas sonderbaren denglischen Label „Golden Tone“. 

Das Angebot an Bodeneffekten umfasste mehrere Geräte – den Nachbau eines Delays des Herstellers BOSS, den Nachbau des bekannten Verzerrers DS-1 des gleichen Herstellers sowie den genannten Overdrive „Warm Blues“, bei dem das Vorbild nicht sofort deutlich war. 

Die beiden anderen Geräte wurden im Forum des Händlers „Musikding“ anhand von Fotografien „analytisch auseinandergenommen“.  Bei allen Geräten war der Gerätename über Kopf aufgedruckt, was für Erheiterung und skeptische Bemerkungen sorgte, ansonsten überwog das Interesse. 

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Gerät und Fertigungsqualität

Nun also zum vorliegenden Gerät, einem CGIANT Warm Blues, höchst­wahrscheinlich eine Kopie nicht des BOSS Blues Drivers, sondern des Digitech Screamin' Blues.  (Der Autor konnte bei der Untersuchung des Gerätes natürlich nicht jeden Widerstand nachsehen, und bei Kondensatoren in SMD hilft selbst ein Fadenzähler nicht weiter.)

Der äußere erste Eindruck ist ernüchternd, nicht nur, dass der Hebel des Fußschalters klappert und die Potentiometer­knöpfe wacklig und billig wirken, der Name auch dieses Gerätes ist verkehrt herum auf die Klappe des Fußschalters aufgedruckt – man hat das auf den Werbebildern mit viel Photoshop und etwas zu wenig perspektivischem Denken zu korrigieren versucht. 

Das Gerät ist, wie gesagt, in SMD gefertigt, wahrscheinlich zu großen Teilen automatisiert.  Die Fertigungsqualität ist durchwachsen, die FET-Transistoren in den diskreten Operations­verstärkern (bei denen es von der Schaltung her naheliegt, dass sie selektiert wurden) sind mehr schief als schräg auf die Platine aufgeklebt und, so wie es aussieht, von Hand verlötet. 

Ansonsten, ein stabiles Stahlgehäuse und alle elektronischen Teile in einem Stück, das heißt, Buchsen und Potentiometer sind fest auf der Platine verlötet.  Das bedeutet, alle mechanischen Belastungen von Buchsen und Potentiometer – falls einmal jemand das Gerät versehentlich fallen lässt, betrunken drüber stolpert oder aus Bosheit drauftritt – gehen direkt mit auf die Platine.  Auch der eigentliche Taster, mit dem man das Gerät über den Fußschalter aktiviert, ist die Platine gelötet.  Den Gummistempel, der auf den Taster drückt, wurde vom Autor gekürzt und neu eingesetzt, weil er ansonsten schon recht früh zuerst auf den Taster und dann auf die Platine drückt. 

Die Dokumentation des Gerätes ist lausig, die beiden unterschiedlichen Ausgänge (ein „normaler“ und ein frequenz­korrigierter Ausgang) sind nicht bezeichnet, das muss sich dann wohl selber dranschreiben. 

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Zur Schaltung

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Da sowohl das gekaufte Gerät (CGIANT Warm Blues) als auch die Vorlage (Digitech Screamin' Blues) erkennbar erweiterte Kopien des BOSS Blues Drivers sind, wird das Grundkonzept der Schaltung anhand des wirklichen Originals beschrieben.  Beim Erstellen der Schaltplan­zeichnungen musste auf einen schlechten Scan eines von BOSS mitgelieferten Schaltplans (siehe z. B. auf der entsprechenden Seite der Schaltplansammlung freeinfosociety) zurückgegriffen werden.  Die beiden Puffer­verstärker an Ein- und Ausgang sowie die Umschaltung zwischen Effekt und Bypass wurden nicht gezeichnet; sie sind in den meisten BOSS-Effekten ähnlich und weitestgehend klangneutral (oder sollten es sein.

Aufgrund der schlechten Qualität des o. g. Scans sind die Angaben zu Größe und Nummerierung der Bauelemente nicht sicher – die Schaltpläne sind also für einen Nachbau nicht geeignet.  Letzteres gilt natürlich auch für die Schaltpläne, die der Autor für diese Seite selbst erstellt hat und die hier im Folgenden verwendet werden. 

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BOSS Blues Driver

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Schon die Schaltung des BOSS Blues Driver ist für einen Verzerrer etwas ungewöhnlich – die folgenden Schalt­pläne Abbildung 1a und Abbildung 1b zeigen die eigentliche „Zerrschaltung“:

Schaltplan

Abb. 1a:  Schaltung des esten diskreten Operations­verstärkers, des zwischen­geschalteten Tonestacks und der Begrenzerdioden des BOSS Blues Driver

Schaltplan

Abb. 1b:  Schaltung des zweiten Operations­verstärkers im BOSS Blues Driver

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Ein diskreter Operations­verstärker – statische Kennlinie

Die Verzerrung entsteht im Wesentlichen durch Über­steuerung von zwei diskreten Operations­verstärkern, bestehend aus einem als Differenz­verstärker beschalteten FET-Pärchen (Q10 und Q11 bzw. Q14 und Q13) und einem als Ausgangstreiber genutzten bipolaren Transistor (Q9 bzw. Q12), wobei durch letzteren bei hohem Ausgangspegel die untere Halbwelle des Ausgangssignals sanft und die andere hart begrenzt wird (asymmetrisch hartes / weiches Clipping). 

Diese diskreten Operations­verstärker und ihr Über­steuerungs­verhalten verdienen eine eingehendere Betrachtung, was im Folgenden anhand einer Berechnung derg Verstärkung sowie einer mathematischer Betrachtung von Frequenz- und Phasen­gang geschehen soll. 

Begonnen wird dazu am linken JFET des ersten diskreten Operations­verstärkers – hier wird das Eingangs­signal zunächst zwischen den Gate-Source-Strecken der beiden JFET-Transistoren „aufgeteilt“ und führt anschließend zu einem Signal­strom am Drain von Q10

\( \begin{equation} i_{\textrm{D,10}} = u_{\textrm{GS,10}}\cdot{}S_{\textrm{Q10,AP}} \tag{1}\end{equation} \)

Signalmäßig betrachtet bilden die reziproken Steilheiten von Q10 und Q11 sowie der Source­widerstand R30 einen Spannungsteiler für das Differenzeingangssignal:

\( \begin{eqnarray} \frac{u_{\textrm{GS,10}}} {u_{\textrm{G,10}}-u_{\textrm{G,11}}} & = & \frac{\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}}} {\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} + \left( \cfrac{1} {S_{\textrm{Q11,AP}}} || R_{\textrm{30}} \right) } \\~\\ & = & \frac{\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}}} {\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} + \cfrac{1} {S_{\textrm{Q11,AP}}} \left( 1||\! \left[ R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}} \right] \right) } \\~\\ & = & \frac{\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} } {\cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} +\cfrac{1} {S_{\textrm{Q11,AP}}} \left( \cfrac{R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} {1+R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} \right) } \tag{2}\end{eqnarray} \)

Nach dem Erweitern beider Seiten der Gleichung mit uG,10uG,11 und mit SQ10,AP sowie unter Einbeziehung von Gleichung 1 lässt sich schreiben:

\( \begin{eqnarray} i_{\textrm{DS,10}} & = & \frac{u_{\textrm{G,10}}-u_{\textrm{G,11}}} { \cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} + \cfrac{1} {S_{\textrm{Q11,AP}} } \left( \cfrac{R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} {1+R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} \right) } \tag{3}\end{eqnarray} \)

Ausgehend davon lässt sich für den Differenz­verstärker (bzw. für dessen lineares Kleinsignalverhalten um den Arbeitspunkt) eine Gesamtsteilheit Sdiff ermitteln, die sich ergibt als Quotient aus der Änderung des Drain­stroms durch R28 und der Änderung des Differenz­eingangs­spannung uG,10 – uG,11

\( \begin{eqnarray} S_{\textrm{diff}} & = & \frac{i_{\textrm{DS,10}}} {u_{\textrm{G,10}}-u_{\textrm{G,11}}} \\ & = & \frac{1} { \cfrac{1} {S_{\textrm{Q10,AP}}} + \cfrac{1} {S_{\textrm{Q11,AP}}} \left(\cfrac{R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} {1+R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} \right) } \tag{4}\end{eqnarray} \)

Die Steilheit S eines JFET hängt natürlich von dessen Daten (hier UGS,0 und IDSS) wie auch von dessen Source­strom ab.  Wenn man davon ausgeht, dass Q10 und Q11 paarig selektiert wurden (der innere Aufbau des dem Autor vorliegenden Gerätes CGIANT Warm Blues legt das zumindest nahe – die JFET-Transistoren wurden von Hand eingelötet), kann man für beide JFET-Transistoren von den gleichen Daten ausgehen.  Unter Umständen unterscheiden sich die JFET-Transistoren aber möglicherweise in ihrem Source­strom. 

Die Summe beider Source­ströme wird durch Source­spannung (größer 4 V) und durch den gemeinsamen Source­widerstand R30 bestimmt; sie liegt bei etwa 1 mA. 

Der Source- bzw. Drain­strom von Q10 wird am stärksten durch die Größe von R28 und die Tatsache bestimmt, dass zwischen Basis und Emitter von Q9 etwa 0,6 V bis 0,7 V anliegen – Q10 hat also einen Drain­strom von etwa 0,3 mA und demzufolge Q11 einen von etwa 0,7 mA.  Der Basis­strom von Q9 ist dagegen sehr klein, er liegt nur bei einigen Mikroampere und fällt hier nicht ins Gewicht. 

Das Datenblatt des verwendeten JFET 2SK184 (siehe die folgende Abbildung 2) legt für einen Source­strom von 0,3 mA eine Steilheit von etwa 6 mS und für einen Source­strom von 0,7 mA eine Steilheit von etwa 8 mS nahe. 

Faksimile

Abb. 2: Steilheit des JFET 2SK184 in Abhängigkeit vom Source­strom – Auszug aus dem Datenblatt des Herstellers. 

Diese Werte können nun in obige Gleichung 4 eingesetzt werden.  Dabei ergibt sich beim Vergleich der Werte von R30 und der Steilheit von Q11 eine weitere mögliche Vereinfachung – dadurch, dass der gemeinsame Source­widerstand R30 wesentlich größer ist als die reziproke Steilheit des zweiten JFET Q11, kann R30 hier vernachlässigt werden und der zusätzliche Bruch im Nenner der Gleichung entfallen. Die Vereinfachungen betreffen eben den eingeklammerten Bruch in Nenner der rechten Seite: 

\( \begin{eqnarray} \frac{R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} {1+R_{\textrm{30}}\cdot{}S_{\textrm{Q11,AP}}} & = & \frac{4{,}7\,\textrm{kΩ}\cdot{}8\,\textrm{mS}} {1+4{,}7\,\textrm{kΩ}\cdot{}8\,\textrm{mS}} = \frac{37{,}6} {1+37{,}6} \\~\\ & \approx{} & 1 \tag{5}\end{eqnarray} \)

Für SQ10,AP = 8 mS und R30 = 4,7 kΩ ergibt sich jetzt aus der vereinfachten Gleichung 4 mit ausreichender Genauigkeit: 

\( \begin{eqnarray} S_{\textrm{diff}} & \approx & \frac{1} { \cfrac{1}{S_{\textrm{Q10,AP}}} + \cfrac{1}{S_{\textrm{Q11,AP}}} } = \frac{1} { \cfrac{1} {6\,\textrm{mS}} + \cfrac{1} {8\,\textrm{mS}} } \\~\\ & \approx & 3{,}4\,\textrm{mS} \tag{6}\end{eqnarray} \)

Das Differenz­eingangs­signal der beiden Gates führt also mit einer Steilheit von etwa 3,4 mS zu einem Signal­strom an Q10

Dieser Signal­strom teilt sich dann am Stromteiler, bestehend aus dem Drain­widerstand R28 und der Basis-Emitter-Strecke von Q9, auf.  Um den differentiellen Widerstand dieser Basis-Emitter-Strecke berechnen oder wenigstens abschätzen zu können, muss der Arbeitspunkt von Q9 betrachtet werden: 

Im Ruhezustand bzw. im Arbeitspunkt des diskreten Operations­verstärkers haben dessen Ausgang und dessen invertierender Eingang, d. h. das Gate von Q11 wie auch der Kollektor von Q9, dieselbe Spannung wie dessen Eingang, das Gate von Q10 – etwa die halbe Betriebs­spannung.  (Es wird vernachlässigt, dass sich die Gate-Source-Spannungen von Q10 und Q11 aufgrund der unterschiedlichen Source­ströme geringfügig unterscheiden.)  Die Spannung UR32 über dem Kollektor­widerstand R32 beträgt dann ebenfalls etwa 4 V und der Kollektor­strom von Q9 hat einen Wert von 1,8 mA. 

Für den Basis­ruhestrom von Q9 gilt dann: 

\( \begin{equation} I_{\textrm{B,9}} = \cfrac{U_{\textrm{R32}}} {R_{\textrm{32}}\cdot{}\beta_{\textrm{Q9}}} \tag{7}\end{equation} \)

Der differentielle Widerstand der Basis-Emitter-Strecke von Q9 leitet sich nun entsprechend der Shockley-Gleichung grob aus dem Stromverstärkungs­faktor des Transistors, der Größe des Basis­stroms, der sogenannten Temperatur­spannung UT (26 mV) und dem materialabhängigen Emissions­koeffizienten η (bei Silizium etwa 1,7) ab:

\( \begin{eqnarray} r_{\textrm{BE,9}} & = & \eta\cdot{} \frac{U_{\textrm{T}}} {i_{\textrm{B,9}}} \\~\\ & = & \beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} \frac{ \eta\cdot{} U_{\textrm{T}}\cdot{} R_{\textrm{32}} } {U_{\textrm{R32}}} \tag{8}\end{eqnarray} \)

Einen Stromverstärkungs­faktor von Q9 von beispielsweise 300 angenommen, ergibt sich für Q9 im Arbeitspunkt ein differenzieller Basis-Emitter-Widerstand von etwa 7 kΩ; d. h. signalmäßig betrachtet wird die Basis-Emitter-Strecke von Q9 durch R28 zum Teil kurzgeschlossen. 

Für den Signalstrom an der Basis von Q9 in Abhängigkeit von der Eingangs­spannung des JFET-Differenz­verstärkers lässt sich jetzt unter Anwendung der Stromteilerregel an rBE,9 und R28 zusammenfassen: 

\( \begin{eqnarray} i_{\textrm{B,9}} & = & \frac{R_{\textrm{28}}} {r_{\textrm{BE,9}}+R_{\textrm{28}}} \cdot\Delta u_{\textrm{e}} \cdot{} S_{\textrm{diff}} \\~\\ & = & \frac{R_{\textrm{28}}} {\beta_{\textrm{Q9}} \cdot\cfrac{\eta\cdot{}U_{\textrm{T}}} {I_{\textrm{C,2}}} + R_{\textrm{28}} } \cdot{} \Delta u_{\textrm{e}} \cdot{} S_{\textrm{diff}} \\~\\ & = & \frac{1} {\beta_{\textrm{Q9}} \cdot{}\cfrac{\eta\cdot{} U_{\textrm{T}}\cdot{}R_{\textrm{32}} } { U_{\textrm{R32}}\cdot R_{\textrm{28}}} + 1 } \cdot{} \Delta u_{\textrm{e}} \cdot{} S_{\textrm{diff}} \tag{9}\end{eqnarray} \)

Für den Kollektor­signal­strom von Q9 ergibt sich dann:

\( \begin{eqnarray} i_{\textrm{C,9}} & = & \beta_{\textrm{Q9}}\cdot \frac{R_{\textrm{28}}} { \beta_{\textrm{Q9}}\cdot \cfrac{\eta\cdot U_{\textrm{T}}\cdot R_{\textrm{32}} } {U_{\textrm{R32}}} + R_{\textrm{28}} } \cdot\Delta u_{\textrm{e}} \cdot{} S_{\textrm{diff}} \tag{10}\end{eqnarray} \)

Da – in der konkreten Schaltung – die Werte von R28 und R32 gleich sind, lässt sich hier kürzen: 

\( \begin{eqnarray} i_{\textrm{C,9}} & = & \frac{1} { \cfrac{\eta\cdot{}U_{\textrm{T}}} {U_{\textrm{R32}}} + \cfrac{1} {\beta_{\textrm{Q9}}} } \cdot{} \Delta u_{\textrm{e}} \cdot{} S_{\textrm{diff}}\\ \tag{11}\end{eqnarray} \)

und daraus für die Leerlauf­verstärkung dieses diskreten Operations­verstärkers im Arbeits­punkt ableiten: 

\( \begin{eqnarray} V_{\textrm{U,AP}} & = & \frac{R_{\textrm{32}}\cdot i_{\textrm{C,9}}} {\Delta u_{\textrm{e}}} \\ & = & R_{\textrm{32}}\cdot{} S_{\textrm{diff}}\cdot{} \frac{1} { \cfrac{\eta\cdot{}U_{\textrm{T}}} {U_{\textrm{R32}}} + \cfrac{1} {\beta_{\textrm{Q9}}} } \\ & = & \frac{7{,}5} { \cfrac{44\,\textrm{mV}} {U_{\textrm{R32}}} + \cfrac{1}{300} } \tag{12}\end{eqnarray} \)

Dass hier die Ausgangs­spannung (nicht die Signal­spannung am Ausgang, sondern die Spannung vom Ausgang gegen Masse UR32) in der Formel zur Berechnung der Leerlauf­verstärkung des diskreten Operations­verstärkers auftaucht, weist auf eine nichtlineare Kennlinie hin – bei einer linearen Kennlinie hätte der Verstärkungs­faktor von sich verändernden Größen möglichst unabhängig zu sein.  Dabei ist BOSS mit dieser Schaltung eines diskreten Operations­verstärkers ein Bauelement mit einer interessant nichtlinearen (etwa quadratischen) Kennlinie gelungen.  Bei diesem diskreten Operations­verstärkers hängt der Quotient der Änderung von Ausgangs- zu Eingangsspannung dUa / dUe fast linear vom augenblicklichen Wert der Ausgangs­spannung ab – solange das Verhältnis der Ausgangs­spannung (d. h. die Spannung über R32) zum Produkt UT ⋅ η wesentlich kleiner ist als der Strom­verstärkungs­faktor des Transistors Q9, steigt oder sinkt die Verstärkung mit der Ausgangs­spannung – diese wird aber letztendlich durch die Größe des Stromverstärkungsfaktors von Q9 begrenzt. 

Das bedeutet, dass der Operations­verstärker mit einer eher gekrümmten Kennlinie und einer asymmetrischen Begrenzung arbeitet; in der unteren Halbwelle ist die Verstärkung geringer, die untere Halbwelle des diskreten Operations­verstärkers wird weich begrenzt, wohingegen die obere Halbwelle hart unter der Betriebs­spannung abgeschnitten wird. 

Abgesehen davon hat dieser diskrete Operations­verstärker im Gegensatz zu integrierten Operations­verstärker einen relativ großen Headroom und ist so sehr gut an die relativ geringe Betriebs­spannung in Bodeneffekt­geräten angepasst. 

Mit PSPICE wurde die Schaltung des diskreten Operations­verstärkers noch einmal in Hinblick auf dessen statische Kennlinie modelliert, wobei allerdings keine passende Modelle für die in der Original­schaltung benutzten Transistoren zur Verfügung standen – es handelt sich als nur um ein qualitatives Modell.  Abbildung 3 zeigt die Schaltung der Simulation: 

Schaltplan

Abb. 3:  Simulationsschaltung zur qualitativen Ermittlung der statischen Kennlinie eines diskreten Operations­verstärkers wie z. B. im BOSS Blues Driver – bei der Simulation wurden andere Transistor(modelle) verwendet. 

Die rechte Hälfte der Schaltung dient der Ermittlung der Arbeitspunkte am Gate des ersten JFET und am Fußpunkt der Gegenkopplung.  Das Diagramm der statischen Kennlinie beschreibt, bei welcher Eingangsspannung (Gate von Q10) welche Ausgangsspannung (Kollektor von Q10) zu erwarten ist.  Die folgende Abbildung 4 zeigt die statische Kennlinie der simulierten Schaltung nach Abbildung 3

PSPICE-Diagramm

Abb. 4:  Statische Kennlinie eines simulierten diskreten Operations­verstärkers wie in Abbildung 3.  Die Kennlinie wurde simuliert für einen Gain-Regler auf „0“, „0,16“ und „1“ sowie bei quasi entfernter Gegenkopplung (Gain = 100).  Die gepunkteten Linien zeigen den entsprechenden Verstärkungs­faktor, dividiert durch 20. 

Die unterschiedlich scharfe Begrenzung an den beiden Aus­steuerungs­grenzen ist deutlich zu sehen. 

Das beschriebene nichtlineare Verhalten wird natürlich notwendigerweise durch die zugeschaltete Gegen­kopplung linearisiert – d. h. der diskrete Operations­verstärkers klippt in der unteren Halbwelle weniger weich und verhält sich stärker linear, wenn die Verstärkung durch einen zurückgedrehten Gain-Regler stärker reduziert wurde.  Auch das ist im Kennlinien­diagramm in Abbildung 4 deutlich zu erkennen (je größer der Aussteuerungs­bereich d. h. je kleiner die Verstärkung, desto gerader bzw. linearer die Kennlinie). 

Um die quantitative und auch die qualitative Wirkung der Gegenkopplung einschätzen zu können, muss die Leerlauf­verstärkung des diskreten Operations­verstärkers zumindest grob quantitativ bestimmt werden.  Zunächst soll das Verhalten bei kleinen Signalen betrachtet werden.  Unter den gegebenen Bedingungen (UR32 etwa 4 V, β etwa gleich dreihundert) kann man für kleine Signale bzw. das Verhalten im Arbeitspunkt ableiten: 

\( \begin{eqnarray} V_{\textrm{U,AP}} & = & \frac{7{,}5} { \cfrac{44\,\textrm{mV}} {4\,\textrm{V}} + \cfrac{1} {300} } \approx{} 500. \tag{13}\end{eqnarray} \)

Für die positive Halbwelle steigt die maximale Verstärkung bis auf etwa 850.  Die maximale Gegenkopplung liegt etwa im Bereich größer hundert. 

Bei einer absoluten Ausgangs­spannung UR32 von etwa 500 mV gegen Masse (d. h. im Ende der unteren Halbwelle) sinkt die Leerlauf­verstärkung des diskreten Operations­verstärkers ebenfalls auf etwa einhundert, bei einer absoluten Ausgangs­spannung von etwa 1 V auf etwa einhundert­fünfzig.  Das bedeutet, dass die untere Halbwelle des Signals (im Bereich etwa ein Volt „über null“) weich geklippt wird, sofern der Gain-Regler aufgedreht worden ist. 

Ein diskreter Operations­verstärker – dynamisches Verhalten

Soweit zum statischen Verhalten bzw. zur statischen Kennlinie des von BOSS entwickelten diskreten Operations­verstärkers, interessant ist jedoch auch das zu einem „normalen“ Operations­verstärker unter­schiedliche dynamische Verhalten, d. h. Frequenz- und Phasen­gang des nicht gegen­gekoppelten Verstärkers und, daraus folgend, das Verhalten bei Über­steuerung. 

Ein „normaler“ integrierter Operations­verstärker hat seine sehr hohe Leerlauf­verstärkung nur bei sehr kleinen Frequenzen, diese fällt (üblicherweise über den gesamten Ton­frequenz­bereich) mit 20 dB / Dekade bis zur sogenannten Transit­frequenz – die Verstärkung bei der Transit­frequenz ist eins.  Damit einher geht (ebenfalls über den gesamten Ton­frequenz­bereich) eine Phasen­verzögerung von fast 90°. 

Das ist, solange der Operations­verstärker im linearen Bereich arbeitet, nicht unbedingt ein Problem – hier wird dessen Ausgangs­signal im Wesentlichen über die Gegen­kopplung bestimmt.  Der Operations­verstärker arbeitet hier – mit einer Phasen­verzögerung von 90°, d. h. mit einer gewissen Behäbigkeit – als Regler, der versucht, das Ausgangs­signal fort­laufend so einzustellen, dass die Eingangs­spannung am invertierenden Eingang mit der amg nicht­invertierenden Eingang über­ein­stimmt.  Ist der Operations­verstärker beispiels­weise mit einem Spannungs­teiler eins zu zehn gegen­gekoppelt, wird sein Ausgangs­signal zehnmal so groß sein wie sein Eingangs­signal. 

Bei Über­steuerung gerät diese Arrangement natürlich durcheinander, der Operations­verstärker wird bei einem zu großen Eingangs­impuls erst einmal „gegen die Wand laufen“, d. h. an seine Aussteuerungs­grenzen kommen, ehe die Gegen­kopplung wieder einsetzen und das Verhalten der gesamten Schaltung kontrollieren kann, was dann u. U. zu merkwürdigen Verhalten, z. B. zu einer Art „Panik­reaktion“ wie Über­schwingen am Aus­gang führen kann

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob das bei dem hier verwendeten diskreten Operations­verstärker auch so ist.  Um das beurteilen zu können, müssen Frequenz- und Phasen­gang dieses diskreten Operations­verstärkers untersucht werden. 

In dessen Schaltung (siehe Abbildung 1a; im Folgenden geht es der Einfachheit halber nur um den ersten Operations­verstärker) findet sich genau ein frequenz­abhängiges Bau­element – der Kondensator C21 (47 pF) zwischen Basis und Kollektor des bipolaren Ausgangs­transistors Q9 – der dann auch ein Tiefpass­verhalten des gesamten diskreten Operations­verstärkers bewirkt.  C21 wird hier zu einer sogenannten Miller-Kapazität, d. h. die Kapazität, mit der sich an C21 und dem Drain­widerstand von Q10, R28, ein Tiefpassverhalten realisiert, verstärkt sich proportional zur (negativen) Verstärkung von Q9.  Das bedeutet, dass die Frequenz des Tiefpasses, der an der Basis von Q9 entsteht, davon abhängt, wie sehr Q9 das Signal verstärkt. 

Wie hängt das alles zusammen?  Weiter oben wurde ausgeführt, dass das Differenzsignal zwischen den Gates der beiden JFET-Transistoren, Q10 und Q11, zu einem Signal­strom am Drain des linken JFET Q10 führt.  Dieser Signalstrom wird, der Stromteilerregel folgend, zwischen dem Drain­widerstand R28 und dem differentiellen Basis-Emitter-Widerstand des bipolaren Transistors Q9 aufgeteilt und dann durch letzteren zumg Kollektor­strom und damit zur Ausgangsspannung des diskreten Operations­verstärkers verstärkt. 

Dabei entsteht – sozusagen unterwegs – auch am Drain von Q10 eine Signal­spannung, da der (Signal-)Drain­strom von Q10 parallel durch dessen Drain­widerstand R28 und durch den differentiellen Basis-Emitter-Widerstand von Q9 fließt.  Das heißt, wenn man jetzt zunächst einmal den Kondensator C21 ignoriert, kann man schreiben:

\( \begin{equation} u_{\textrm{D,10}}=i_{\textrm{D,10}}\cdot{} \left(R_{\textrm{28}} ||  r_{\textrm{BE,9}} \right) \tag{14}\end{equation} \)

Diese Spannungsquelle uD,9 hat nun einen Innen- oder Quell­widerstand in Höhe der Parallel­schaltung von R28 undg rBE,9.  Dieser Innen- oder Quell­widerstand bildet mit der Miller-Kapazität an Q9 einen Tiefpass, dessen Grenz­frequenz jetzt abgeschätzt werden soll: 

\( \begin{eqnarray} f_{\textrm{TP}} &=& \frac{1} {2\pi{}\cdot{} C_{\textrm{Miller}}\cdot{} \left(R_{\textrm{28}} ||  r_{\textrm{BE,Q9}} \right) } \\~\\ &=& \frac{1} {2\pi{}\cdot{} v_{\textrm{U,Q9}}\cdot{} C_{\textrm{21}}\cdot{} \left(R_{\textrm{28}} ||  r_{\textrm{BE,Q9}}\right ) } \tag{15}\end{eqnarray} \)

Die Formel für den differentiellen Widerstand rBE,Q9 wurde weiter oben schon einmal abgeleitet,g hier wird erst einmal nur der ungefähre Wert vong rBE,Q9 ermittelt: 

\( \begin{eqnarray} r_{\textrm{BE,Q9}} &= & \beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} \frac{\eta\cdot{} U_{\textrm{T}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} {U_{\textrm{R32}}} \\~\\ & \approx & 300\cdot{} \frac{1{,}7\cdot{} 26\,\textrm{mV}\cdot{} 2{,}2\,\textrm{kΩ}} {\textrm{4 V}} \\~\\ & \approx & 7\,\textrm{kΩ} \tag{16}\end{eqnarray} \)

Damit ergibt sich für die Parallel­schaltung von R28 und rBE,Q9 ein Wert von etwa 1,7 kΩ.  Der nächste Schritt zur Ermittlung der Tief­pass­frequenz besteht jetzt darin, die Spannungs­verstärkung vU,Q9 von der Basis zum Kollektor von Q9 zu ermitteln. 

\( \begin{eqnarray} v_{\textrm{U,Q9}} &=& \frac{u_{\textrm{C,Q9}}} {u_{\textrm{B,Q9}}} \\~\\ v_{\textrm{U,Q9}} &=& \frac{i_{\textrm{C,Q9}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} {u_{\textrm{B,Q9}}} \\~\\ v_{\textrm{U,Q9}} &=& \frac{i_{\textrm{B,Q9}}\cdot{} \beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} {u_{\textrm{B,Q9}}} \\~\\ v_{\textrm{U,Q9}} &=& \frac{u_{\textrm{B,Q9}}} {r_{\textrm{BE,Q9}}} \cdot{} \frac{\beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} {u_{\textrm{B,Q9}}} \\~\\ v_{\textrm{U,Q9}} &=& \frac{1} {r_{\textrm{BE,Q9}}} \cdot{} \beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} R_{\textrm{32}} \tag{17}\end{eqnarray} \)

An diesem Punkt ist ein Einschub nötig, weiter oben wurde bereits rBE,Q9 aus dem Arbeitspunkt von Q9 abgeleitet: 

\( \begin{eqnarray} r_{\textrm{BE,Q9}} &=& \beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} \frac{ \eta\cdot{} U_{\textrm{T}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} {U_{\textrm{R32}}} \tag{18}\end{eqnarray} \)

Das lässt sich jetzt einsetzen und vereinfachen: 

\( \begin{eqnarray} v_{\textrm{U,Q9}} & = & \frac{U_{\textrm{R32}}} {\beta_{\textrm{Q9}}\cdot{} \eta{}\cdot{} U_{\textrm{T}}\cdot{} R_{\textrm{32}}} \cdot{} \beta_{\textrm{Q9}} \cdot{} R_{\textrm{32}} \\~\\ v_{\textrm{U,Q9}} & = & \frac{U_{\textrm{R32}}} {\eta{}\cdot{} U_{\textrm{T}}} \tag{19}\end{eqnarray} \)

Ergebnis ist eine Formel, die durchaus All­gemein­gültig­keit besitzt.  Sie wird wieder in die Ursprungs­gleichung 15 eingesetzt, undg mit dem oben abgeschätzten Wert fürg R28 || rBE,Q9 ergibt sich für fTP

\( \begin{eqnarray} f_{\textrm{TP}} &=& \frac{\eta{}\cdot{} U_{\textrm{T}}} {U_{\textrm{R32}}} \cdot{} \frac{1} {2\pi{}\cdot{} C_{\textrm{21}}\cdot{} \left(R_{\textrm{28}} ||  r_{\textrm{BE,Q9}} \right) } \\~\\ &\approx{}& \frac{1{,}7\cdot{}26\,\textrm{mV}} {4\,\textrm{V}} \cdot{} \frac{1} {2\pi{}\cdot{} 47\,\textrm{pF}\cdot{} 1{,}7\,\textrm{kΩ} } \\~\\ f_{\textrm{TP}} &\approx{}& 22\,\textrm{kHz} \tag{20}\end{eqnarray} \)

Das ist ein gutes Ergebnis, es bedeutet, dass bei demg diskrete Operations­verstärker im für Gitarre wesentlichen Audiobereich mit keinen oder kaum wesentlichen Verlusten an Verstärkung oder mit Phasenverschiebungen zu rechnen ist.  Eine Operations­verstärker, dessen Verstärkung erst mit dem Ultra­schall­bereich beginnend sinkt und der auch die Phase erst mit Ultra­schall­bereich beginnend merklich verzögert, kann im Audio­bereich auf Übersteuerungen wesentlich „disziplinierter“ reagieren, d. h. beim Klippen ist ein Entstehen zusätzlicher Peaks oder ein Überschwingen weniger wahrscheinlich als bei einem „klassischen“ bzw. üblichen Operations­verstärker. 

Insgesamt kann man von dem BOSS entwickelten diskreten Operations­verstärker wohl durchaus ein musikalisches Übersteuerungs­verhalten erwarten. 

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Anwendung der diskreten Operations­verstärker

Nun zum Einsatz der beiden diskreten Operations­verstärker in der Schaltung des BOSS Blues Drivers, von denen einer tendenziell eher als Booster oder als „diskreter Tubescreamer“ und der andere als eigentliche Zerrstufe eingesetzt wird. 

Mit der Gegenkopplung des ersten diskreten Operations­verstärker (in obiger Schaltzeichnung R31 und C22) werden die Bässe und Mitten beginnend bei etwa 700 Hz abgesenkt; im Ausgang dieses Operations­verstärkers wird das Signal hinter einem Filter, dass die Bässe wieder leicht anhebt (C26, C34 und C35 sowie R38—R37, R50 und R51 – ein Fender-typisches „Tonestack“ mit zugedrehten Mitten und Höhen), von zwei mal zwei antiparallelen (Clipping)dioden begrenzt. 

Diese Begrenzung kann dabei nicht allzu intensiv sein – siehe dazu die folgende Abbildung 5.  Sie zeigt den Frequenz­gang des genannten Filters.  Würde diesem Filter ein Signal mit einer Amplitude von 3 V (was einer Ausgangs­spannung des diskreten Operations­verstärkers von etwa 8 V Spitze-Spitze entspricht) eingespeist, so würde die Ausgangs­spannung bei tiefen Frequenzen kaum 1 V und ansonsten kaum oder gerade 500 mV erreichen. 

PSPICE-Diagramm

Abb. 5:  Frequenz­gang des Tonestacks im BOSS Blues Driver.  Es wurde am Eingang des Klangfilters ein Signal mit einer Amplitude von 3 V (≈ 8,4 V Spitze-Spitze) eingespeist 

Wie ist das zu erklären?  Die „linke untere Seite“ des Filters bildet einen Tiefpass 30 Hz bis 220 Hz (R38, C35, R51).  Für Frequenzen wesentlich größer als etwa 220 Hz wirkt dieser Tiefpass als Spannungsteiler aus R38 und R51 mit einem Ausgangs­widerstand von etwa 13 kΩ (R38 parallel R51).  Das Ausgangssignal dieses Spannungsteilers wird von C34 nur durchgelassen; der „aufgedrehte“ Bass­regler R50 ist bedeutungslos, weil zu groß und der Höhen­regler (die Reihenschaltung von C26 mit R37) wirkt erst bei Frequenzen größer etwa 2 kHz und ist ohnehin „zugedreht“. 

Für Frequenzen größer als etwa 200 Hz und bei (momentanen) Spannungsspitzen von maximal ± 4 V am Eingang des Filters treten also bei den Dioden Peaks von etwa 500 mV auf, was bedeutet, dass auf jede der zwei in Serie geschalteten Dioden jeweils maximal 250mV abfallen.  Bei dieser Spannung sperren die Dioden noch fast vollständig. 

Für tiefere Frequenzen als 200 Hz ist die Dämpfung des genannten Tiefpasses geringer – über C35 und R51 fließt ein kleinerer Signalstrom (ab).  Im Extremfall fließt der gesamte Signalstrom durch R38 zu den Begrenzerdioden.  Ein Signal von ± 4 V geringer Frequenz am Eingang des Filters würde zu einem Strom durch R38 von etwa 30 µA führen.  Bei einem solchen Strom hätten die Begrenzerdioden einen differentiellen Innenwiderstand von zusammen etwa 3 kΩ (2 ⋅ η ⋅ 26 mV / 30 µA), d. h. der differentielle Widerstand der Diode wäre wesentlich kleiner als R38, die Dioden würden bereits klippen. 

Das bedeutet, dass die Ausgangs­spannungen des Filters bei tiefen Frequenzen groß genug sein können, um die nachfolgenden Dioden leitend zu machen, d. h. dass in dieser Schaltung aller Voraussicht nach mit den Dioden nur „in den Bässen die Spitzen abgeschnitten“ werden. 

Das erinnert wohl nicht zufällig an die typische, leicht komprimierende und „leicht in den Bässen schmierende“ Über­steuerung / Ver­zerrung von „amerikanischen“ Verstärkern. 

Nun zum Gesamtfrequenzgang der Zerrstufen des BOSS Blues Drivers:  Der Verweis auf einen Low cut wie in einem Tubescreamer (eine −3-dB-Frequenz von etwa 700 Hz) in der Beschaltung des ersten diskreten Operations­verstärker ist dabei aber, was den gesamten Frequenz­gang des Gerätes vor der Verzerrung angeht, nur die halbe Wahrheit – durch besagten Low cut und die nachfolgende Filterschaltung wird eine zu den hohen Frequenzen wesentlich sanfter ansteigende Verstärkung erreicht.  (siehe dazu Abbildung 6 ) Das erspart dem Anwender zum einen die etwas penetrante Mittendominanz, dem man beispielsweise dem Tubescreamer nachsagt, und macht den Klang für nachfolgende eher dezentere Verzerrungen geeigneter (soll heißen, als Booster für modernere Metalsounds wäre der Blues Driver weniger geeignet, er könnte hier wohl zu stark „matschen“). 

PSPICE-Diagramm

Abb. 6: Frequenz­gang vor dem zweiten diskreten Operations­verstärker im BOSS Blues Driver (volle Linien) und im Digitech Screamin' Blues (gestrichelte Linien):
– Blauer Graph: Signal nach dem ersten diskreten Operations­verstärker,
– grüner Graph: Signal nach dem Fender-Tonestack und
– roter Graph: Frequenz­gang des Fender-Tonestacks

Der zweite diskrete Operations­verstärker wird eher freqenz­neutral gegengekoppelt (die −3-dB-Frequenz liegt bei 70 Hz), es werden – „BOSS-typisch“ – lediglich Subbässe herausgefiltert – danach folgt die Klangfilterung (siehe die folgende Abbildung 7). 

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Die Filterschaltung

Nach der Betrachtung der Zerrstufen und der diskreten Operations­verstärker nun also zur nachfolgenden „post-boost“-Filtereinheit, die, im Gegensatz zur bisherigen Schaltung des BOSS Blues Drivers, eher clean arbeiten soll: 

Schaltplan

Abb. 7:  Schaltung der Klangfilterstufen des BOSS Blues Driver

Einer passiven Höhenblende folgen ein (hochohmigerer) Volumenregler und anschließend ein „richtiger“ Operations­verstärker in nichtinvertierender Schaltung.  Im Fuß­zweig der Gegenkopplung dieses Operations­verstärkers liegt ein Serienschwingkreis aus einem Kondensator und einem mit einem Transistor realisierten Gyrator (C9, C15 und Q7 sowie R10 und R21).  Der Serien­schwing­kreis hat eine Resonanzfrequenz von etwa 120 Hz. 

Insgesamt kann man sagen, dass die durch die breite Bassabsenkung vor der Verzerrung entstandene Mittenbetonung über eine schmal­bandige Bassanhebung klanglich etwas ausgeglichen wird, ohne dass die Gefahr von „Monsterbässen“ oder einem allzu intransparenten Ton mit zu viel Mulm in Bässen und tiefen Mitten besteht. 

Eine Anmerkung noch zu den beiden Dioden an den Eingängen des Operations­verstärkers:  Diese dienen dem Schutz dieser Eingänge vor zu großen Differenz­spannungen; im Normalfall „versucht“ der Operations­verstärker ohnehin, den Ausgang so einzustellen, dass an beiden Eingängen dieselbe Spannung anliegt (das ist seine Aufgabe bzw. Funktion).  Es hat also wenig Sinn, den Zerrklang des Gerätes durch Austausch dieser Dioden gegen andere Typen aufwerten zu wollen. 

Die folgende Abbildung 8 zeigt den Frequenz­gang der gesamten Filtereinheit bei verschiedenen Einstellungen des Tone-Reglers.  Es ist zu erkennen, dass der Ausgangssignalpegel auch bei Übersteuerung des davor liegenden diskreten Operations­verstärkers praxisgerecht ist (aus einem Signal mit einem Effektivwert von 3 V am Eingang der Klangregelschaltung entsteht ein Ausgangs­signal von etwa 250 mV bei Mittelstellung des Volumenreglers). 

PSPICE-Diagramm

Abb. 8:  Frequenz­gang der Klangfilterung im BOSS Blues Driver in Abhängigkeit vom Tone-Regler.  Es wurde am Eingang des Klangfilters ein Signal mit einer Amplitude von 3 V eingespeist; der Level-Regler war etwa auf Mittelstellung (Signaldämpfung auf etwa 15 %) eingestellt. 

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Digitech Screamin' Blues

Kapitelinhalt:[  Überspringen ]

Nach den eingehenden Betrachtungen zur Schaltung des BOSS Blues Drivers nun zur Schaltung des Digitech Screamin' Blues.  Es gibt einige Unterschiede zwischen dem BOSS Blues Driver und den Digitech Screamin' Blues (respektive CGIANT Warm Blues).  Zum Vergleich der Schaltungen wird auf einen Schaltplan des Digitech Screamin' Blues, gefunden auf der Seite des „Telecaster Forums“  TDPRI, Bezug genommen.  Dazu wurden auch hier – aus Gründen des Urheberrechtes – einige Teile des Schaltplans nachgezeichnet. 

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Verringertes Gain durch andere JFET-Transistoren

Einer der ersten (im Signalweg) auffälligen schaltungs­technischen Unterschiede zwischen dem BOSS Blues Driver und dem Digitech Screamin' Blues liegt in der Verwendung anderer (möglicherweise einfach preiswerterer) JFET-Transistoren in den diskreten Operations­verstärkern – Digitech verwendet hier nicht 2SK184, sondern J112

Im Datenblatt des J112 (siehe Abbildung 9) wird für einen Source­strom von 0,3 mA bzw. 0,7 mA eine Steilheit von etwa 3,5 mS bzw. etwa 6 mS ausgewiesen.  Die Gesamtsteilheit des JFET-Differenz­verstärkers liegt so beim Screamin' Blues bei etwa 2,2 mS gegenüber den etwa 3,5 mS beim BOSS Blues Driver, was sich voraussichtlich in einem subtil geringeren Gain und einer ebenso subtil weicheren Kennlinien zeigen könnte.  (Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Gain, d. h. die Verstärkung der diskreten Operations­verstärker wesentlich durch die Gegenkopplung, d. h. durch die Einstellung des Gain-Reglers bestimmt wird.)

Faksimile

Abb. 9:  Steilheit des JFET J201 in Abhängigkeit vom Source­strom – Auszug aus dem Datenblatt des Herstellers. 

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Veränderter Hochpass

Der Hochpass in der Gegenkopplung des ersten diskreten Operations­verstärkers (bei etwa 700 Hz) setzt beim Digitech bei über 1 kHz an (der untere Pfad des Gegenkopplungs­spannungsteilers besteht bei BOSS aus R31 = 1,5 kΩ und C6 = 150 nF und bei Digitech aus R18 = 1 kΩ und C6 = 150 nF.), so dass der Verzerrer mit weniger Bässen, mit weniger Mitten und mehr Höhen angesteuert wird. 

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Bassregler

Die Bassanhebung bei 120 Hz, die beim BOSS Blues Driver fest eingestellt ist, kann beim Screamin' Blues in ihrer Höhe verändert werden – die Bässe können genauso auch schmal­bandig abgesenkt werden.  Wozu auch immer.  Der Gyrator wird hier mit einem Operations­verstärker (U1-A) realisiert: 

Schaltplan

Abb. 10:  Schaltung des Klangfilters im Digitech Screamin' Blues

Auch der Bassregler des Digitech Screamin' Blues wurde simuliert – Abbildung11  zeigt das Ergebnis:

PSPICE-Diagramm

Abb. 11:  Frequenz­gang der Klangfilterung im Digitech Screamin' Blues in Abhängigkeit vom Low-Regler.  Es wurde am Eingang des Klangfilters ein Signal mit einer Amplitude von 3 V eingespeist; der Tone-Regler war etwa auf Mittelstellung eingestellt, der Level-Regler ebenfalls (Signaldämpfung auf etwa 15 %). 

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Interner Pufferverstärker

Weiterhin unterscheiden sich auch die Schaltungen zur Bassanhebung – während beim Blues Driver der Eingang dieser Stufe so hochohmig ist wie der Eingang des Operations­verstärkers, findet sich beim Screamin' Blues eine übliche aktive Klangregelschaltung mit einem weitaus geringeren Eingangs­wider­stand, ihr wurde deshalb ein Pufferverstärker (U1-B) vorgeschaltet, damit die regelbarere Bassanhebung nicht die vorgeschaltete passive Höhenblende beeinflusst. 

Der höhere Eingangs­widerstand dieses Pufferverstärkers ermöglicht es wiederum, diese Höhenblende (C20, C21 und VR3) um den Faktor zehn hochohmiger zu machen.  Das heißt, sie beeinflusst das Übersteuerungs­verhalten des davorliegenden zweiten diskreten Operations­verstärkers nicht mehr. 

Die folgende Abbildung 12 zeigt den Gesamt­frequenz­gang der Klangregelschaltung beim Digitech Screamin' Blues – der Bass­regler wurde in der Simulation so eingestellt, dass der Gesamtklang im Bassbereich etwa dem des BOSS Blues Drivers entspricht. 

PSPICE-Diagramm

Abb. 12:  Frequenz­gang der Klangfilterung im Digitech Screamin' Blues in Abhängigkeit vom Tone-Regler.  Es wurde am Eingang des Klangfilters ein Signal mit einer Amplitude von 3 V eingespeist; der Level-Regler war etwa auf Mittelstellung (Signaldämpfung auf etwa 15 %) eingestellt, der Low-Regler auf 0,9 (Anhebung wie beim BOSS Blues Driver). 

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Recording Out

Der Digitech hat (wie auch der CGIANTs Warm Blues), einen zweiten, frequenz­korrigierten Ausgang, um mit dem Gerät direkt ins Pult oder den Rechner gehen zu können (C41 …, R72 … sowie U3-A und U3-B).  Dabei wird über einen Tiefpass, mit einer leichten Resonanz­überhöhung bei 2–3 kHz (laut Schaltung des Digitech), das gröbste „Verzerrer­kratzen“ herausgefiltert.  Diesen Filter hat Digitech auch bei anderen Verzerrern eingefügt. 

Die Abbildungen Abbildung 13 und Abbildung 14 zeigen die (Simulations)schaltung und den (simulierten) Frequenz­gang dieses Filters vor dem Recording Out

Schaltplan

Abb. 13: Schaltung des Speaker­simulations­filters im Digitech Screamin' Blues

PSPICE-Diagramm

Abb. 14: Frequenz­gang des Speaker­simulations­filters im Digitech Screamin' Blues

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Umschaltung

Bei allen drei besprochen Geräten erfolgt die Signal­umschaltung über JFET-Transistoren, die in den entsprechenden Signalpfaden liegen.  Die Ansteuerung dieser JFET-Transistoren übernimmt bei BOSS ein mit diskreten Transistoren realisiertes Flipflop, bei Digitech eine Schaltung mit den MOSFET-Array CD4007.  Da diese Schaltung in den Schaltplänen verschiedener Effektgeräte von Digitech regelmäßig anders dimensioniert wird und der Autor das nicht vollständig nachprüfen kann, wird hier auf eine weitere Diskussion der Schaltung verzichtet.  Es ist jetzt nicht zu erkennen, welche der beiden Lösungen besser oder schlechter ist. 

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Abschluss und Siegerehrung

Da dem Autor von den drei hier diskutierten Geräten nur eines konkret vorliegt (CGIANT Warm Blues), der Aufbau einiger Geräte von BOSS aber aus der Vergangenheit bekannt ist, werden hier also die Geräte von BOSS mit der Kopie einer Kopie eines Originals verglichen, wobei, was die eigentliche Schaltung betrifft, das Digitech Screamin' Blues meist mit gemeint ist. 

Die mechanische Konstruktion ist bei BOSS generell besser – bei BOSS werden (oder zumindest wurden) Teile, die mechanisch von außen belastet werden können, nicht direkt mit der Hauptplatine verbunden.  Ob Fußtaster, Potentiometer oder die Buchsen, sie sind lediglich mit dem Gehäuse verschraubt; der Kontakt zur Platine erfolgt über Kabel (flexible Litze).  Da ist CGIANTs Warm Blues wesentlich einfacher und billiger gebaut. 

Dazu kommt, dass beide „Nachbauten“ im Gegensatz zu BOSS in SMD realisiert sind – für den Bastler oder besser „Tuner“ ist das natürlich eher ungünstig, weil bei SMD kaum Modifikationen der Schaltung möglich sind. 

Ob die Umsetzung der Schaltung in SMD einen negativen Einfluss auf die Zuverlässigkeit eines Gerätes hat, kann hier mangels Erfahrung nicht beurteilt werden – oben wurde allerdings ausgeführt, dass der aufwendigere und teurere Aufbau bei BOSS Vorteile in der Zuverlässigkeit bieten kann

Die Zuverlässigkeit nach Modifikationen hingegen, so zumindest die durchaus auch traurige Erfahrung des Autors, korreliert auch mit Planung und technischen Verständnis.  Soll meinen, Modifikationen wie die, die unter Grenzfrequenz der Eingangsstufe von 7 Hz auf 4 Hz zu senken (Eingangskoppelkondensator von 47 nF auf 100 nF) oder die, eine der Schutzdioden vor den Eingängen des letzten Operations­verstärkers (Bassanhebung) gegen eine LED zu tauschen, sind nach Meinung des Autors nicht nur unsinnig, sondern tragen auch nicht unbedingt zu einer höheren Zuverlässigkeit des Gerätes bei. 

Sollte dieser Artikel dazu beigetragen haben, die Schaltung der Geräte zu verstehen und das eine oder andere „Tuning“ besser zu planen bzw. die Schaltung hier zielgerichteter zu verändern, wäre das gut und sinnvoll genug. 

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