Ein Versuch, die Schaltpläne von zwei Effekten – Surfy Industries Surfy Trem und Surfy Industries Surfy Vibe – herauszuknobeln und zu erklären. Es beginnt mit einer Moralpredigt für Maler nach Zahlen. Dann das Tremolo in einem Kapitel – der LFO, das LFO-Filter und das Stellglied. Beim Vibrato dauerte es länger – mehrere Versuche beim Filter und ein Extrakapitel für das Stellglied.
Surfy Industries
Surfy Trem und Surfy Vibe
Kapitelinhalt:[ Überspringen ]
- Abstract & Vorspann •
- „Harmonisches“ Tremolo Surfy Trem •
- Röhrenersatzvibrato Surfy Vibe – LFO und Filter •
- Röhrenersatzvibrato Surfy Vibe – das Stellglied
Abstract & Vorspann
Kapitelinhalt:[ Überspringen ]Dieser längere Artikel beschreibt Überlegungen und Experimente, die bei dem im Forum https://musikding.rocks gestarteten Versuch, aus Fotos, Messungen, Simulationen und Experimenten auf dem Breadboard die Schaltpläne zweier Effektgeräte auszuknobeln, angestellt wurden. Es handelt sich dabei um die Geräte „Surfy Trem“ und „Surfy Vibe“ des schwedischen Herstellers „Surfy Industries“.
Urheberrecht und Moralpredigt im Voraus
Dabei scheinen die Geräte den Schaltplänen von Tremolo- bzw. Vibratoeffekten klassischer Röhrenverstärker (Fender, Magnatone) zu folgen. Ziel des Autors dieses Artikels war es, zur Diskussion von Prinzipien und Lösungsansätzen solcher Anpassungen „alter“ Röhrentechnik auf moderne Bauelemente und Fertigungsmethoden beizutragen – und nicht, eine Möglichkeit zu schaffen, die Geräte zu kopieren. Der Autor ist an den Lösungen von Surfy Industries genauso interessiert wie an der (insbesondere wirtschaftlichen) Existenz dieses Unternehmens – „idiotensichere“ Nachbauanleitung(en) anzubieten ist nicht Absicht hinter diesem Artikel.
Eine wie auch immer geartete kommerzielle Nutzung der dargestellten Schaltungen bzw. Schaltungshypothesen wird hiermit von Seiten des Autors ausdrücklich untersagt.
Theorie vorweg
Kapitelinhalt:[ Überspringen ]Auch in der mehr oder weniger theoretischen Elektronik haben sich bestimmte Formulierungen oder auch grafische Darstellungsformen etabliert, die für dem Einen oder die Andere schwer verständlich sind bzw. einer Erklärung bedürfen. Um sich in den Kapiteln des Artikels kürzer fassen zu können, wird versucht, einige dieser Fachbegriffe, Formulierungen oder Darstellungsformen hier im Vorspann genauer zu erklären:
Kondensator „sieht“
Um zu erklären, was mit dieser speziellen Formulierung „Der Kondensator ‚sieht“‘ gemeint ist, wird ein Beispiel bemüht – der Einfachheit halber ein Ausschnitt aus dem Schaltplan des Verstärkers Fender Concert 6G12A aus dem ersten Kapitel dieses Artikels – siehe folgenden Schaltplan 1.1:
Diese Schaltung bildet das Herzstück des sogenannten „Harmonic Tremolo“ – die Lautstärke wird bei dieser Schaltung nicht im Gesamten verändert, sondern Bässe und Höhen werden gegenläufig in ihrer Lautstärke moduliert. Dabei übernimmt die linke Triode die Verstärkung / Modulation der tiefen Frequenzen und die rechte Triode die der Mitten und Höhen.
Mit der Betrachtung der Schaltung „aus Sicht“ von C72 soll begonnen werden: „Nach links“ ist C72 mit der Signalquelle verbunden (Anschluss uE, davor eine Röhrenstufe, i. A. mit einem Ausgangswiderstand kleiner als 50 kΩ, im konkreten Fall knapp 10 kΩ), nach rechts mit dem Gitter der Triode und mit dem Ausgang des Biasspannungsteilers R36 = 1 MΩ auf R40 = 1 MΩ. Der Ausgangswiderstand eines Spannungsteilers wiederum entspricht der Parallelschaltung seiner Bestandteile – dieser Spannungsteiler R36 auf R40 hat also einen Ausgangswiderstand von 500 kΩ.
Insgesamt „sieht“ C72 also nach rechts einen Widerstand 500 kΩ gegen die halbe Biasspannung und nach links einen Widerstand von 10 kΩ gegen die Signalquelle – C72 und der Biasspannungsteiler bilden also einen Hochpass 250 pF auf 500 kΩ mit einen vernachlässigbar kleinen Vorwiderstand. (Der Hochpass hat eine −3dB-Frequenz von etwa 1,3 kHz).
Die linke Seite mit den beiden Kondensatoren C73 und C77 ist ein wenig komplizierter. Beginnt man mit C73 und dem Spannungsteiler R41 auf R42 (und ignoriert C77 und R74), so entsteht hier ein Hochpass 64 Hz.
Bezieht man C77 und R74 mit ein, wird es kompliziert; dann „sieht“ C73 einen Tiefpass 72 Hz und einen Spannungsteiler mit einer Quellimpedanz 220 kΩ parallel 10 nF. Dabei kommt die einfache Betrachtungsmethode „Kondensator sieht“ an ihre Grenzen – eine plausible Beschreibung der Schaltung ist ein Bandpass 70 Hz (Tiefpass und Hochpass mit einer −3dB-Frequenz von etwa 70 Hz), dessen zweites Glied (Hochpass C73 auf Spannungsteiler R42 auf R41) um den Faktor zwei hochohmiger ist als das erste (Tiefpass R74 auf C77).
Differentieller Widerstand
In den Beschreibungen insbesondere der Stellglieder des Surfy Vibe wird regelmäßig von einem differentiellen Widerstand gesprochen. Anhand der folgenden Abbildung 1.1 (entnommen als Faksimile aus [ robbins ], durch den Autor um grüne und hellblaue Eintragungen ergänzt) für die Kennlinien zweier Varistoren sollte das Prinzip beschrieben werden:
Im Diagramm sind zweierlei Zusammenhänge zu erkennen: Zum einen folgt an jedem Punkt der Kennlinie aus der Höhe der Spannung über dem Varistor ein Strom durch den Varistor in bestimmter Höhe – der Varistor hat für diesen Punkt einen auch einen bestimmten Widerstand (als Quotient aus Strom und Spannung). Zum anderen ergibt sich für jeden Punkt bzw. Bereich der Kennlinie eine Richtung des Graphen; d. h. zur Änderung der Varistorspannung an diesem Punkt gehört eine Änderung des Varistorstroms – ein Zusammenhang, der durch den Quotienten der Änderungen von Spannung und Strom, d. h. durch den differentiellen Widerstand, bzw. durch die Richtung des Graphen an diesem Punkt der Kennlinie, beschrieben wird.
Zur groben Abschätzung wurden in Abbildung 1.1 an drei Stellen der Kennlinie Strom und Spannung durch den Varistors abgelesen. Weiterhin wurde für den Bereich zwischen 80 % und 125 % des Varistorstroms die Abweichung der Varistorspannung bestimmt. Aus dem Quotienten dieser Differenzen kann grob der differentielle Widerstand bestimmt werden – die folgende Tabelle 1.1 fasst die Zahlen noch einmal zusammen:
Bereich der Kennlinie: |
links unten |
Mitte | rechts oben |
---|---|---|---|
IVar | 31 µA | 100 µA | 315 µA |
UVar | 38 V | 58 V | 83 V |
RVar | 1,2 MΩ | 580 kΩ | 260 kΩ |
Δ IVar | 15 µA | 45 µA | 150 µA |
Δ UVar | 8 V | 8 V | 11 V |
rdiff | 500 kΩ | 180 kΩ | 70 kΩ |
Der differentielle Widerstand bzw. die Unterscheidung zwischen (fixen) und differentiellem Widerstand ist wichtig für den Einsatz des Varistors – z. B. in einer Vibratoeinheit eines Röhrenverstärkers Magnatone 280B (siehe folgenden Schaltplan 1.2).
Aus der Biasspannung über den Varistoren und den beiden Vorwiderständen (R22 und R23 sowie R26 und R27) resultiert anhand der Strom-Spannungs-Kennlinie ein bestimmter mittlerer Varistorstrom bzw. bestimmte mittlere Varistorspannung (ein in Bezug auf das Audiosignal statischer Zustand). In Bezug auf die wesentlich kleinere Audiosignalspannung wiederum ist der differentielle Widerstand wichtig, er führt in dieser Schaltung im Zusammenwirken mit dem Kondensator C10 bzw. C13 zu einer vom differentiellen Widerstand der Varistoren abhängigen Phasenverschiebung.
In der folgenden Tabelle 1.2 wird das einmal exemplarisch durchgerechnet – aus dem Varistorstrom, der Varistorspannung und dem differentiellen Widerstand des Varistors an den drei verschiedenen Messpunkten ergeben sich verschiedene Biasspannungen (UBias = 2 ⋅ UVar + 2 ⋅ I Var ⋅ 47 kΩ) wie auch verschiedene differentielle Widerstände in der Schaltung und verschieden große 90°-Frequenzen.
Bereich der Kennlinie: |
links unten |
Mitte | rechts oben |
---|---|---|---|
I Var | 31 µA | 100 µA | 315 µA |
U Var | 38 V | 58 V | 83 V |
rdiff | 500 kΩ | 180 kΩ | 70 kΩ |
Ubias | ≈79 V | ≈125 A | ≈196 A |
1 / 2 ⋅ rdiff | 250 kΩ | 90 kΩ | 35 kΩ |
fπ/2 | ≈770 Hz | ≈2,2 kHz | ≈5,5 kHz |
Zeigerdiagramme
Um im normalen gewohnten Umgang mit technischen und u. U. auch elektrischen Größen den Wert eines dieser Größen zu bestimmen, genügt im Allgemeinen ein Parameter (z. B. Länge, Masse, Gewicht, Batteriespannung) – man kann diese Größe quasi „mit dem Meterstab messen“ und entsprechend addieren, subtrahieren etc.
Bei der Betrachtung elektrischer Netzwerke hingegen werden Sinussignalspannungen oder -ströme durch zwei Parameter bestimmt; ihre Amplitude und ihre Phasenlage. Die Berechnung wird dadurch komplizierter; in grafischen Darstellungen können solche Signale durch rotierende Zeiger dargestellt werden. Ein Zeigerdiagramm ist die grafische Darstellung aller Wechselspannungen oder -ströme in einer Schaltung. Um die Zeiger nicht alle rotierend darstellen zu müssen, wird (für einem Zeitpunkt, zu dem eine bestimmte Größe – meist das Eingangssignal – die Phasenlage null hat) eine Art Schnappschuss des Systemsystems gezeichnet, das Zeigerdiagramm. Siehe dazu die folgende Abbildung 1.2:
Links ist der Prinzipschaltplan einer Phasenschieberstufe im Univibe-Phaser; rechts das zugehörige Zeigerdiagramm:
Kollektor- und Emitterwiderstand der Transistorstufe sind gleich, d. h. die Signalspannungen am Kollektor und Emitter sind gegenphasig mit gleichem Betrag, deswegen werden uRC und uRE als gleichlange gegenläufige Zeiger dargestellt.
Zwischen Kollektor und Emitter liegen ein (Foto)widerstand und ein Kondensator, vom gleichen Signalstrom durchflossen. Die Signalspannungen über beiden sind aber um 90° phasenverschoben. Deswegen spannt sich über den beiden Zeigern für uRC und uRE ein rechtwinkliges Dreieck aus den Zeigern für uC und uR,foto – wobei der Zeiger für uC gegenüber dem für uR,foto gegenüber um 90° gedreht ist.
Daraus (bzw. aus der in der Geometrie bekannten Tatsache, dass das Sekantendreieck über dem Durchmesser stets rechtwinklig ist) ergibt sich, dass die rechtwinklige „Ecke“ des rechtwinkligen Dreiecks, das die Zeiger für uC und uR,foto sowie uRC und uRE bilden, auf einem Halbkreis unter der Abszisse liegt. Das wiederum bedeutet, dass der Zeiger für die Ausgangsspannung uA zwischen dem Koordinatenursprung und der Spitze genannten Dreiecks stets gleicher Länge ist, d. h. dass die Ausgangsspannung der Phasenschieberstufe zwar ihre Phasenlage gegenüber der Eingangsspannung ändert, in ihrer Amplitude aber gleich bleibt.
Literatur
- [ fender → concert ]
-
Schaltplan des Fender Concert 6G12A gefunden auf www.prowessamplifiers.com.
- [ robbins ]
-
Tim Robbins. Magnatone Vibrato Design; gefunden unter: www.dalmura.com.au/static/Magnatone vibrato design.pdf.
- [ magnatone ]
-
Schaltplan des Magnatone 280B. Gefunden auf der Magnatone-Seite http://www.magnatoneamps.com; Downloadlink: http://www.magnatoneamps.com/schematics/magnatone_280B.png.