VOX Pathfinder 10 – Teil II

Eine „weichere“ Klippstufe

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Beim Ausprobieren des VOX Pathfinder 10 war aufgefallen, dass der Verstärker zwar einen schönen Cleansound hat, aber der Overdrivesound, gelinde gesagt, ein wenig „halbstark“ (aggressiv ohne wirkliche Basis und Substanz) klingt.  Eine neue Begrenzer­schaltung sollte sich also im Zerrverhalten von der recht harsch klingenden LED-Klippstufe unterscheiden. 

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Klippen über Gleichrichter

Zuerst also die Begrenzer­schaltung an sich.  Es war gewünscht, dass die Begrenzung nicht erst spät und hart einsetzt, sondern langsam und kontinuierlich zunimmt.  Außerdem sollte das Signal asymmetrisch, das heißt bei verschieden großen Spannungen für die positive und die negative Halbwelle, begrenzt werden.  Dafür wurde eine etwas unübliche Begrenzer­schaltung / Klippstufe mit vorgespannten Dioden entwickelt und in diesem Verstärker ausprobiert. 

Schaltskizze

Abb. 2.1:  Prinzip­schaltung des Umbaus der Klippstufe – die LEDs werden durch eine Begrenzer­schaltung mit vorgespannten Dioden über zwei Graetzbrücken ersetzt. 

Obige Abbildung 2.1 zeigt die Schaltung.  Sie sieht komplizierter aus, als sie letztendlich ist – die Dioden D101 bis D104 und D105 bis D108 bilden jeweils eine Graetzbrücke, wie sie zur Gleichrichtung in Netzteilen verwendet werden. 

Die allseits bekannte Klipp­schaltung über einen Kondensator, einen Vorwiderstand und zwei antiparallele Dioden gegen Masse ist auch in dieser Schaltung vorhanden und wird mit den Dioden D104 und D106 sowie mit der im Pathfinder bereits vorhandenen Kombination aus Vorwiderstand (R9) und Koppel­kondensator (C8, hier in Reihe mit dem hinzugefügten C101) realisiert.  Eine solche Klipp­schaltung begrenzt das Signal üblicherweise symmetrisch bei Eingangsspannungen über etwa 500 mV.  Der Wider­stand R99 dient hier als Pulldown, d. h. er sorgt dafür, dass die linke Seite von C101 im Ruhezustand Massepotential hat und es beim Umschalten in den Overdrive-Betrieb nicht knackt oder ploppt. Für die Kennlinie der Begrenzer­schaltung hat er keine Bedeutung.

Die restliche Schaltung bedarf einer kurzen Erläuterung.  Dazu wird der Wider­stand R105 zunächst ignoriert und mit der Betrachtung oben rechts begonnen:  Durch die Wider­stände R103 und R101, die Diode D102, Masse, die Diode D108 sowie die Wider­stände R102 und R104 fließt ein Strom von knapp 10 mA vor positiven Betriebs­spannungs­quelle zur negativen.  (C102 und C103 haben hier keine klangliche Funktion, sondern sollen lediglich eventuelle Brummreste aus der Versorgungs­spannung herausfiltern.).  Dadurch fällt auf die Dioden D102 und D108 eine Spannung von jeweils etwa 800 mV ab.  Diese insgesamt 1,6 V verteilt sich nun auf die Dioden D101, D103, D105 und D107 (auf der linken Seite der Begrenzer­schaltung).  Ohne R105 würden die genannten Dioden mit je etwa 400 mV vorgespannt bzw. vorgesättigt werden und die Schaltung dadurch schon bei sehr kleinen Eingangssignalen von etwas mehr als 100 mV begrenzen.  Deswegen R105 – einer der Dioden parallel­geschaltet, schließt dieser Wider­stand die Diode teilweise kurz und sorgt dafür, dass deren Vorsättigung wesentlich geringer ist als die der anderen Begrenzerdioden. 

Das führt nicht nur dazu, dass die Begrenzung für eine Halbwelle (in diesem Fall die positive Halbwelle) wesentlich weniger scharf ansetzt.  Der Arbeitspunkt der Schaltung (Ruhespannung an der rechten Seite von C101) „wandert“ in den Bereich der Begrenzung der negativen Halbwelle (Siehe auch das folgende Diagramm in Abbildung 2.2) – für kleine Signalpegel entsteht eine asymmetrisch gekrümmte Kennlinie wie beispielsweise bei einer Triode „im cleanen Bereich“. 

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Ungefähre Dimensionierung

Ein paar Angaben zur Dimensionierung:

Die Wider­stände

Der Wert von R9 ist vorgegeben.  R101R104 müssen so gewählt werden, dass der Strom, der durch die Dioden D102 und D108 fließt, immer größer ist als der durch R9.  (Ansonsten würden die Spannungen an R101 / D102 bzw. R101 und an R107 / D108 bzw. R102 bei starker Aussteuerung „mitwandern“ und die Begrenzung dann nicht mehr funktionieren.)

Da die minimale oder maximale Spannung an der linken Seite von R9 nicht wesentlich kleiner ist als die Betriebsspannungen ist, sollten R101 und R103 (bzw. R102 und R104) zusammen kleiner sein als R9

Interessanter ist die Ermittlung von R105.  Hier wurde auf die Hilfe von PSPICE zurückgegriffen.  Das Bild zeigt, schon einmal im Vorgriff auf die Simulation, die statische Kennlinie der Begrenzer­schaltung für verschiedene Werte von R105 von 0,5 kΩ bis 5 kΩ: 

PSPICE-Diagramm

Abb. 2.2:  Simulierte statische Kennlinie einer Begrenzer­schaltung mit vorgespannten Dioden.  Ermittlung des optimalen „De­symmetrier­widerstandes“ (R105). Eingangsspannung in Volt, Ausgangsspannung in mV. 

Der fett markierte Graph für einen Wider­stand R105 von 1,5 kΩ schien den Anforderungen an einen stetig gekrümmten Kurvenverlauf und eine nicht zu starke Asymmetrie am besten zu entsprechen. 

Die Dioden

Es wurden zwei handelsübliche Brücken­gleichrichter verwendet, die auch zur fliegenden Montage auf Lötleisten geeignet sind. 

Die Kondensatoren

C105 muss vor die Begrenzer­schaltung einfügt werden, damit beim Zuschalten kein Gleichspannungshub („Plopp“) entsteht.  Für C105 gilt, dass er größer sein muss als der im Verstärker vorhandene C8, damit die entstehende Gesamtkapazität nicht wesentlich kleiner als C8 wird. 

Die Siebkondensatoren C102 und C103 (je 100uF) filtern Netzbrummen auf den Versorgungs­leitungen heraus. 

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Simulation mit PSPICE

Bevor die Schaltung aufgebaut und in den Verstärker eingesetzt wurde, musste sie zuerst mit PSPICE simuliert werden.  Anschließend wurde die statische Kennlinie aus Einzelmesspunkten aufgenommen. 

Simuliert wurde nach der folgenden Schaltung: 

Schaltskizze

Abb. 2.3:  Simulations­schaltung zur Ermittlung der Kennlinie der Begrenzer­schaltung – die Ruhespannungen der Abblock­kondensatoren C102 und C103 sowie die Ruhespannung am Eingang der Begrenzer­schaltung wurden durch eine entsprechend baugleiche Schaltung ermittelt (rechte Seite der Simulations­schaltung).  Die Spannungsquelle V201 simuliert die Eingangsspannung.  Verwendete Diodenmodelle: 1N4002

Auch diese Schaltung erfordert u. U. einige Erläuterung. 

  • Zur Benennung der Bauteile: 

    • Die bereits im Verstärker vorhanden Bauelemente tragen hier Indizes unter einhundert (R9) . 

    • Die im Umbau verwendeten und real vorhandenen Bauelemente haben Indizes zwischen einhundert und zweihundert. 

    • Die Bauelemente mit Indizes über zweihundert dienen der Simulation. 

  • Dabei ersetzen die Spannungsquellen V202 und V203 die symmetrische Spannungsversorgung im Verstärker. 

  • Die Spannungsquelle V201 durchläuft den Eingangsspannungs­bereich von −15 V bis +15 Volt.  (Für die Kennlinien­darstellung wurde dieser Bereich verringert, da der wesentliche Teil der Kennlinie im Bereich kleinerer Eingangsspannungen liegt.)

  • Im realen Verstärker wird das Eingangssignal über einen Kondensator in die Begrenzer­schaltung eingekoppelt (was in der Kennlinien­simulation über Gleichspannung nicht funktioniert), so dass, wenn kein Signal R9 anliegt, dieser stromlos ist.  Durch R105 wiederum wird der Nullpunkt der Begrenzer­schaltung verschoben, so dass an deren Ausgang eine Ruhespannung von etwa −170 mV anliegt. 

    Das hat natürlich Einfluss auf die Kennlinie der Begrenzer­schaltung, sie wird in der negativen Halbwelle früher klippen als in der positiven.  Eine Simulation muss diese Zusammenhänge nachbilden. 

    Aus diesem Grunde wird die Begrenzer­schaltung auf der rechten Seite der Simulations­schaltung noch einmal „nachgebaut“, um zwischen D204 und D206 die genannte Ruhespannung abzugreifen und sie gepuffert der Eingangsspannung der Simulation zu überlagern. 

  • Zur Simulation wurden für die beiden Graetzbrücken diskrete Gleichrichterdioden 1N4002 verwendet. 

Hier nun noch einmal das Diagramm mit der in der Simulation ermittelten statische Kennlinie der Begrenzer­schaltung und deren Ableitung (beide fett hervorgehoben): 

PSPICE-Diagramm

Abb. 2.4:  Simulierte statische Kennlinie der Begrenzer­schaltung – für ver­schiedene Werte des De­symmetrier­widerstandes (R105). Arbeitspunkt Eingangs­spannung bei null Volt. Eingangsspannung in Volt, Ausgangsspannung in Millivolt.

Die Kennlinie zeigt zuerst einen sanft geschwungenen Verlauf – an ihrer Ableitung (der obere, grüne Graph als glockenförmige Kurve) ist zu erkennen, dass deren Wachstum niemals konstant, das heißt, dass die Kennlinie niemals wirklich linear ist, sondern das Signal auch bei kleiner Amplitude immer etwas begrenzt oder mindestens verformt. 

Außerdem ist zu erkennen, dass das Signal eine asymmetrische Begrenzung erfährt – die positive Halbwelle wird erst bei einer Amplitude größer 1 Volt begrenzt, bei der negativen Halbwelle geschieht das schon bei wesentlich kleineren Spannungen.  Weiterhin zeigt der Kennlinienbereich in der Nähe des Arbeitspunktes, dass sehr kleine Signale an einer leicht gekrümmten Kennlinie lediglich verformt, aber nicht begrenzt werden, das heißt, bei kleinen Pegeln kann mit einer Zunahme geradzahliger Harmonischer gerechnet werden. 

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Händische Kennlinienmessung

Schließlich wurde die statische Kennlinie der Klipp­schaltung ausgemessen.  Bei der verwendeten Schaltung entfiel zunächst C2 und C3 sowie R3 und R4 – die an den rechten Seiten von R1 und R2 lagen stabilisierte +9 V bzw. —9 V an. 

Schaltskizze

Abb. 2.5:  Mess­schaltung ( Breadboard) zur Bestimmung der statischen Kennlinie der Begrenzer­schaltung

Es wurde aus 95 Messwerten eine kontinuierliche statische Kennlinie ermittelt.  Die gelegentlichen Ausreißer vor allem im Wachstumsgraph sind wohl eher in Messfehlern begründet. 

EXCEL-Diagramm

Abb. 2.6:  Gemessene statische Kennlinie der Begrenzer­schaltung.  Der Arbeitspunkt liegt am Schnittpunkt der Kennlinie mit der Hilfslinie UA = UE.  Die blau gepunktete Linie verweist auf das Wachstum von UA im Arbeitspunkt. 

Für die Interpretation dieser gemessenen Kennlinie gilt das auch schon zur Simulation gesagte – der Arbeitspunkt liegt nicht da, wo Eingangs- und Ausgangsspannung gleich null sind, sondern dort, wo durch den Vorwiderstand kein Strom fließt.  Das heißt, Arbeitspunkt bzw. Nullpunkt im Sinne der Signalbegrenzung ist der Punkt, an dem Eingangs- und Ausgangsspannung gleich sind.  Im Diagramm der gemessenen Kennlinie ist dieses Problem grafisch gelöst, am Schnittpunkt zwischen Kennlinie und der Linie „Hilfslinie U_A = U_E“ wurde ein zweites Koordinatenkreuz (blau gepunktet) eingefügt, dessen Nullpunkt im Arbeitspunkt bzw. Ruhezustand der Begrenzer­schaltung liegt. 

Mit dieser (Richtig)-Verschiebung des Arbeitspunkt ähnelt das Ergebnis der Kennlinienmessung durchaus dem der Simulation über PSPICE

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Weitere Änderungen an der Vorstufe

Da der Verstärker im Original nicht nur eine harsch klingende LED-Klippstufe, sondern auch ein zu hohes Gain besitzt, wurde eine weitere Änderung vorgenommen – der Wider­stand R7 wurde von 1 MΩ auf 330 kΩ verringert.  Weiterhin schien die rechts drastische Höhenanhebung in der ersten Verstärkerstufe (von 1,4 kHz bis etwa 10 kHz um bis zu 17 dB) für eine etwas weniger harsche Begrenzer­schaltung nicht notwendig; durch Vergrößerung von R4 von 1,5 kΩ auf 10 kΩ wurde ein anderes klangliches Verhalten erreicht; die Verstärkung nimmt in dieser Stufe von 800 Hz bis 1,6 kHz um 6 dB zu – eine Hochmittenanhebung, wie man sie ähnlich auch von Verstärkern der Firma Marshall kennt. 

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Praktische Realisierung

Die Begrenzer­schaltung wurde auf einem Stück doppelreihiger Lötleiste aufgebaut und die Lötleiste mit zwei Abstandshaltern an eine freie Stelle im Gerät eingeklebt.  Die Klipp-LEDs im Verstärker konnten ausgelötet und beide Anschlüsse; mit Ausgang und Masse der neuen Begrenzer­schaltung verbunden werden.  Die beiden Gleichspannungen wurden hinter der zweiten Siebstufe des Verstärkers abgegriffen. 

Fotografie

Abb. 2.7:  Praktische Realisierung der Begrenzer­schaltung auf Lötleiste im Verstärker